EMYS-R: Wiederansiedlung der Europäischen Sumpfschildkröte

Die Europäische Sumpfschildkröte, auch Emys orbiculais genannt, ist die einzige ihrer Art, die in Deutschland wild vorkommt. Die schwarze Wasserschildkröte mit gelben Flecken kann bis zu 20 Zentimeter groß und 80 Jahre alt werden und ist vom Aussterben bedroht.

Dr. Kathrin Theissinger ist wissenschaftliche Mitarbeitern am Institut für Insektenbiologie der Justus-Liebig-Universität Gießen und leitet das deutsch-französische Forschungsvorhaben EMYS-R zur Wiederansiedlung der Europäischen Sumpfschildkröte. Über 650 Schildkröten hat sie gemeinsam mit ihren Kolleginnen und Kollegen am Oberrhein ausgesetzt. Die Entwicklung der Schildkröten wird dabei sorgfältig dokumentiert.

Mit Ihrem Projekt EMYS-R möchten Sie die Wiederansiedlung der Europäischen Sumpfschildkröte im deutsch-französischen Grenzgebiet vorantreiben. Warum ist die Sumpfschildkröte in Europa besonders gefährdet?
Wir erleben derzeit die sechste Biodiversitätskrise in der Geschichte unseres Planeten. Der Artenverlust bringt Veränderungen in den Artengemeinschaften mit sich und wirkt sich langfristig auf ganze Ökosysteme aus. Wir sind auf funktionierende Ökosysteme angewiesen, um unsere Gesundheit, Ernährung und Wasserversorgung aufrechtzuerhalten. Habitat-Renaturierung und Wiederansiedlung bedrohter Arten sind eine wichtige Strategie, um diesem Biodiversitätsverlust entgegenzuwirken. Die Europäische Sumpfschildkröte ist in diesem Zusammenhang von besonderer Bedeutung: In Europa, wo die Feuchtgebiete seit dem 18. Jahrhundert um 90% zurückgegangen sind, hat sie den stärksten Rückgang aller Reptilien erlitten. Die Gründe hierfür sind vielfältig: Habitatverlust, Verlust von Eiablageplätzen und Konkurrenz durch invasive Arten. Als Schirmart für Biodiversität hat die Sumpfschildkröte von Forschenden und Interessengruppen daher viel Aufmerksamkeit erhalten. Sie ist sozusagen zu einer Botschafterin für die Feuchtgebiete geworden.

Welche methodische Innovation leisten die von Ihnen verwendeten Orthofotos bei der Bewertung der Feuchtgebiete?
In unserem Forschungsvorhaben wollen wir den Erfolg verschiedener Managementinitiativen bei der Wiederherstellung von Feuchtgebieten und der Wiederansiedlung der Sumpfschildkröte untersuchen. Für eine solche vergleichende Studie konzentrieren wir uns auf drei Wiederansiedlungsprojekte in Deutschland, Frankreich und Lettland, die sich hinsichtlich ihres historischen und gegenwärtigen sozioökologischen Kontexts und Managements unterscheiden. Mithilfe sogenannter Orthofotos, die wir mit historischen Luftbildern vergleichen, können wir die zeitliche Entwicklung dieser drei sehr unterschiedlichen Landschaften analysieren. Dieser Ansatz ist grundsätzlich nicht neu, wurde aber bislang im Projekt noch nicht eingesetzt.

Wie verlaufen Ihre Untersuchungen und welche Ergebnisse können Sie bereits verzeichnen? Gibt es schon erste Hinweise dafür, dass ein höherer Renaturierungsgrad die Wiederansiedlung gezüchteter Europäischer Sumpfschildkröten begünstigen kann?
In den letzten Jahren wurden intensiv Freilanddaten zur Entwicklung der renaturierten Gewässer aufgenommen, die derzeit noch analysiert werden1. Zusätzlich zu klassischen Artbestimmungen wurden auch Wasserproben genommen, um mittels Umwelt-DNA die Artenliste zu vervollständigen. So lassen sich Rückschlüsse auf die Bedürfnisse der Schildkröten im Hinblick auf die Ernährungsgewohnheiten bzw. -vorlieben und die damit verbundenen Habitatansprüche ziehen. Wir haben herausgefunden, dass die Sumpfschildkröte ausschließlich im Wasser frisst, da sie nur unter Wasser schlucken kann. Als besonders schmackhaft schätzen wir Insektenlarven und Schnecken, aber auch Algen und Wasserlinsen ein. Um das genauer zu ermitteln, untersuchen wir Kotproben mittels genetischer Methoden auf die Nahrungszusammensetzung. Für die Langzeitentwicklung der Population werten wir aktuell einen 10-jährigen Fang-Wiederfang-Datensatz aus. Erste Ergebnisse zeigen, dass renaturierte isolierte Tümpel sogenannte Trittstein-Habitate bilden können, die die Ansiedlung heimischer Amphibien fördert. Die Isolation verhindert gleichzeitig die Ausbreitung aquatischer invasiver Arten.

Wie werden die Schutzmaßnahmen in der Bevölkerung wahrgenommen und wie sind die bisherigen Erfahrungen?
Im Jahr 2013 wurde Emys orbicularis erstmals im elsässischen Renaturierungsgebiet „Woerr" (Lauterbourg, Frankreich) wieder angesiedelt. Eine Umfrage von 143 Anwohnerinnen und Anwohnern und Akteuren zeigte, dass die Schildkröte lokal noch unbekannt war. Anfänglich führte ihre Wiedereinführung zu einer tiefergehenden Debatte über die Sinnhaftigkeit monopolisierter Naturschutzmaßnahmen. Doch nach vielen aufklärenden Gesprächen, auch im Hinblick auf die positiven Perspektiven, konnten diese Bedenken beiseite geräumt werden. Inzwischen wurde die Schildkröte dank ihres sympathischen Images in der Bevölkerung zu einem Symbol für die Wiederherstellung von Feuchtgebieten. Die Studie2 zeigt, wie wichtig es ist, die lokale Bevölkerung einzubeziehen, um die Akzeptanz in der lokalen Bevölkerung zu festigen und somit auch den langfristigen Erfolg dieser Projekte zu gewährleisten.


1Pupins M, Nekrasova O, Tytar V, Garkajs A, Petrovs I, Morozova A, Theissinger K, Čeirāns A, Škute A, Georges JY (2023) Geographically isolated wetlands as a reserve for the conservation of amphibian biodiversity at the edge of their range. Diversity 2023, 15(3), 461. https://doi.org/10.3390/d15030461

2Philippot V, Georges JY (2023) Reintroducing a forgotten species in an area neglected by the public: the case of the European Pond Turtle in Alsace (northeastern France). Natures Sciences Sociétés 31(1): 18-30. https://doi.org/10.1051/nss/2023018

 

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Die europäische Biodiversitätspartnerschaft Biodiversa+ ist ein Netzwerk aus 81 Förderorganisationen aus 40 Ländern, die 2021 aus dem europäischen Netzwerk BiodivERsA entstanden ist. Biodiversa+ verfolgt fünf wesentliche Ziele:

  1. Förderung von Forschung und Innovation durch Förderbekanntmachungen und Kapazitätsaufbau
  2. Aufbau eines harmonisierten europaweiten Monitoringsystems
  3. Naturbasierte Lösungen für und Wertschätzung von Biodiversität im privaten Sektor
  4. Wissenschaftsbasierte Entscheidungsunterstützung für Politik
  5. Förderung europäischer Biodiversitätsforschung.